Chiwa
Chiwa und die Bedeutung der Großen Seidenstraße
Chiwa, eine der am besten erhaltenen historischen Städte Zentralasiens, ist ein beeindruckendes Relikt der Großen Seidenstraße, jenes weltumspannenden Handelsnetzes, das seit der Antike Ost und West miteinander verband. Als Teil der historischen Region Choresmien war Chiwa ein bedeutendes Handels- und Kulturzentrum, das Kaufleute, Gelehrte und Reisende aus aller Welt anzog. Noch heute zeugen die imposanten Stadtmauern, Karawansereien und Medresen von der glorreichen Vergangenheit dieser Stadt.
Chiwa als Knotenpunkt des Handels
Während seiner Blütezeit war Choresmien eines der wichtigsten Zentren des internationalen Handels. Chiwa lag strategisch günstig an der Großen Seidenstraße und diente als Drehscheibe für den Warenverkehr zwischen der Wolgaregion, Indien, Persien und dem Nahen Osten. Von hier aus zogen Karawanen weiter nach Ostturkestan, China und sogar in die Mongolei. Die Handelsrouten erstreckten sich über die kumanische Steppe bis nach Saxin, einer bedeutenden Handelsstadt an der Mündung der Wolga, und weiter in die russischen Fürstentümer und nach Europa. Neuere archäologische Forschungen haben weitere Karawanenrouten von Choresmien nach Mangyschlak und von dort auf dem Seeweg in die Unterwolgaregion nachgewiesen. Dies belegt, dass choresmische Kaufleute einen großen Teil des Handels zwischen Zentralasien und Osteuropa kontrollierten.
Die Große Seidenstraße: Ein Handels- und Kulturaustausch
Die Große Seidenstraße war weit mehr als nur ein Handelsweg; sie war eine kulturelle Lebensader, die den Austausch von Wissen, Religionen und Ideen ermöglichte. Diese transkontinentale Verbindung zwischen Europa und Asien existierte seit der Antike und führte von Rom bis zur alten Hauptstadt Japans, Nara. Dabei bestand die Seidenstraße nicht aus einer einzigen Route, sondern aus einem Netz von Handelswegen, die sich ähnlich der Krone eines gewaltigen Baumes verzweigten.
Eine der Hauptstraßen führte von der alten chinesischen Hauptstadt Chang’an nach Westen, überquerte den Tian Shan und erreichte das Fergana-Tal sowie die Oase Taschkent. Von dort aus führten verschiedene Routen nach Samarkand, Buchara und Choresmien, von wo aus die Karawanen entweder zum Kaspischen Meer oder weiter nach Baktrien und Indien zogen. Der Handel wurde durch die Entdeckung und Nutzung von Halbedelsteinvorkommen in Zentralasien weiter begünstigt. Lapislazuli, Nephrit, Karneol und Türkis aus dieser Region waren hochgeschätzte Handelsgüter.
Seide war das wertvollste Handelsgut und wurde in der gesamten damals bekannten Welt begehrt. Im Mittelalter war Seide sogar eine bevorzugte Währung und verdrängte in einigen Regionen Gold als Zahlungsmittel. In Sogdien beispielsweise entsprach der Preis eines Pferdes zehn Schnitten Seide. Sie diente als Zahlungsmittel für Söldner, als Entgelt für Arbeitsleistungen und konnte sogar zur Begleichung von Strafen verwendet werden.
Die Rolle der Europäer auf der Seidenstraße
Der venezianische Kaufmann Marco Polo war der erste Europäer, der die Seidenstraße dokumentierte und über die Wunder des chinesischen Kaiserreichs berichtete. Erst 1877 wurde der Begriff “Große Seidenstraße” von dem deutschen Geografen Ferdinand von Richthofen offiziell eingeführt, als er seine grundlegenden Forschungen zu China veröffentlichte.
Neben Handelswaren wurden auch kulturelle und religiöse Ideen entlang der Seidenstraße verbreitet. Gelehrte, Missionare, Forscher und Krieger zogen jahrhundertelang über die Karawanenrouten und trugen zur Vermischung von Kulturen und zur Weitergabe von Wissen bei.
Die Wiederbelebung der Großen Seidenstraße
Um das kulturelle Erbe der Seidenstraße zu bewahren, wurde in Zusammenarbeit mit der UNESCO ein langfristiges Programm zur Wiederbelebung dieses historischen Netzwerks entwickelt. 1994 verabschiedeten mehrere Nationen die “Erklärung von Samarkand”, die darauf abzielt, das Erbe der Seidenstraße für kommende Generationen zu bewahren und den interkulturellen Austausch zu fördern.
Chiwa: Eine Stadt mit zwei Gesichtern
Chiwa war traditionell in zwei Teile unterteilt: die Innen- und die Außenstadt. Die historische Innenstadt, Ichan-Kala, ist heute ein einzigartiges Freilichtmuseum, das mit seinen gut erhaltenen Lehmziegelgebäuden das Bild einer orientalischen Stadt aus vergangenen Jahrhunderten bewahrt. Dieser Bereich umfasst rund 30 Hektar und hat einen rechteckigen Grundriss.
Im 16. und 17. Jahrhundert wurde Chiwa innerhalb der Festung Ichan-Kala weiter ausgebaut und von einer massiven Lehmmauer umgeben. Diese schützende Befestigung hatte eine Höhe von 8 bis 10 Metern, eine Dicke von 6 bis 8 Metern und eine Gesamtlänge von mehr als 2.200 Metern. Die Mauern waren mit halbrunden Türmen verstärkt und boten Chiwa einen sicheren Schutz vor Invasoren.
Auf jeder Seite der Festung befand sich ein großes Tor, das Darvaza genannt wurde. Die westlichen Ata-Darvaza-Tore befanden sich nahe der Khan-Festung Kunya-Ark, die nördlichen Bakhcha-Darvaza-Tore führten nach Urgench, die östlichen Palvan-Darvaza-Tore wiesen auf den Fluss Amudarja, während die südlichen Tash-Darvaza-Tore den Karakum-Wüstenregionen zugewandt waren.
Das westliche Haupttor, Ata-Darvaza, wurde 1920 zerstört, jedoch in den 1970er Jahren originalgetreu rekonstruiert. Heute ist Ichan-Kala eine der am besten erhaltenen historischen Städte der islamischen Welt und gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe.
Chiwa ist nicht nur ein architektonisches Juwel, sondern auch ein Symbol für die glorreiche Vergangenheit der Großen Seidenstraße. Die Stadt spiegelt die reiche Geschichte Zentralasiens wider und bietet Besuchern eine einmalige Gelegenheit, in eine vergangene Epoche einzutauchen. Durch die fortlaufenden Bemühungen zur Restaurierung und Bewahrung bleibt Chiwa ein lebendiges Zeugnis für den kulturellen Austausch und Handel, der einst diese Region prägte.